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«Wir bewegen uns auf dünnem Eis»

Der Wissenschaftsstandort Schweiz ist unter Druck: Fritz Schiesser warnt im NZZ-Interview vor den Folgen eines Hinauswurfs aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon 2020.

Zur Person

tri. ⋅ Fritz Schiesser ist Präsident des ETH-Rats, des strategischen Führungs- und Aufsichtsorgans des ETH-Bereichs, zu dem die ETH Zürich, die EPFL sowie vier Forschungsanstalten gehören. Der elfköpfige Rat vertritt den ETH-Bereich gegenüber den Bundesbehörden und zeichnet verantwortlich für die Umsetzung des Leistungsauftrages des Bundesrates und des Parlaments. Der Freisinnige Schiesser war von 1990 bis 2007 Ständerat für den Kanton Glarus. 2003 präsidierte der promovierte Jurist die kleine Kammer.

Herr Schiesser, können Sie als ETH-Rats-Präsident noch ruhig schlafen?

Ja, ich habe grundsätzlich einen guten Schlaf. Wie kommen Sie darauf?

Die Schweiz droht aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 geworfen zu werden. Zudem will der Bund die Bildungsausgaben für die kommenden Jahre drosseln. Die Hochschullandschaft ist in Aufruhr.

Zu Recht. Die Politik muss jetzt handeln, damit der Wissenschaftsstandort Schweiz nicht durch Isolation und Sparübungen gefährdet wird. Doch ich bin optimistisch, dass die Zeichen der Zeit erkannt sind.

Sie klagen auf hohem Niveau. Die staatlichen Mittel fliessen trotz Sparprogramm reichlich: Der Bund will in den Jahren 2017 bis 2020 rund 26 Milliarden Franken in die Bildung investieren.

Wenn sich die finanziellen Rahmenbedingungen beim Bund extrem verschlechtern, müssen auch wir unseren Anteil leisten. Ich verstehe aber nicht, wieso der Bildungsbereich überproportional an das Sparprogramm des Bundes beizutragen hat. Die Politik muss sich im Klaren sein, was Bildung, Forschung und Innovation einer Gesellschaft zurückgeben. Man nimmt zu wenig wahr, was der ETH-Bereich leistet. Nicht selten fehlt dieses Bewusstsein, gerade auch in Bundesbern. Unser Erfolg ist selbstverständlich geworden, doch man darf nicht vergessen, dass die Spitzenpositionen in den Hochschul-Rankings die Früchte jahrzehntelanger Anstrengungen in Lehre und Forschung sind. Wir bewegen uns auf dünnem Eis: Ist der Anschluss einmal verpasst, sind später immense Investitionen nötig, um wieder vorne mitzumischen.

Es ist davon auszugehen, dass nach dem Nationalrat auch der Ständerat den bundesrätlichen Finanzierungsrahmen stützt. Welche Projekte werden Sie streichen müssen?

Mit den jährlich rund 2,5 Milliarden Franken, die der Nationalrat für den ETH-Bereich vorgesehen hat, können wir lediglich den Grundbedarf decken. Wir müssten etwa Abstriche bei unseren neuen Schwerpunktthemen Big Data, Fortgeschrittene Produktionsverfahren oder personalisierte Medizin sowie bei Infrastrukturprojekten machen. Wir sind als Leuchttürme der Schweizer Hochschullandschaft äusserst attraktiv für junge Leute. Allein in den letzten zehn Jahren sind die Studierendenzahlen um knapp 60 Prozent gestiegen. Doch mit immer mehr Studierenden und neuen Fachrichtungen brauchen wir auch mehr Lehrstühle, um das hohe Niveau halten zu können. Das kostet.

Müssen die ETH Massenuniversitäten werden?

Die EPFL hat rund 10 000, die ETHZ 20 000 Studierende. Wir haben eine Grössenordnung erreicht, die wir aus Qualitätsgründen nicht markant überschreiten sollten. Aber die Wirtschaft ruft permanent: Mehr Ingenieure, mehr Chemiker, mehr Informatiker!

«Die enge Kooperation, wie sie bei Horizon 2020 möglich ist, kann nicht ersetzt werden.»

Wenn weniger Steuergelder fliessen als gewünscht, müsste die Finanzierung anders sichergestellt werden. Mehr private Drittmittel, höhere Studiengebühren, ein Modell wie bei den Angelsachsen?

Wir haben ein anderes Finanzierungssystem, was übrigens im ETH-Gesetz klar zum Ausdruck kommt. Der Bund darf, so ist dort nachzulesen, nicht seine Mittel senken und von den Hochschulen zur Kompensation das Einwerben von mehr privaten Drittmitteln fordern. Drittmittel sind eine Ergänzung, kein Ersatz. Sie machen im ETH-Bereich weniger als 10 Prozent des Budgets aus.

Und wie halten Sie es mit den Studiengebühren?

Studiengebühren von mehreren zehntausend Franken wie in den USA sind in der Schweiz politisch nicht realisierbar – und für mich auch nicht wünschenswert. Wir können uns jedoch eine Verdopplung der Semestergebühren vorstellen, warten aber zuerst ab, wie sich die Politik entscheidet. Ganz sicher wollen wir keine Differenzierung zwischen Schweizern und Ausländern. Alle sollen gleich behandelt werden. Die Studiengebühren sind zwar nur ein kleiner Teil unseres Budgets, nämlich rund ein Prozent. Aber bei einem vom Bundesrat vorgesehenen Mittelwachstum von 1,5 Prozent ist ein zusätzliches Prozent viel.

Das Parlament hat das Kroatien-Protokoll, das die Bedingung für die Vollassoziierung bei Horizon 2020 ist, weiterhin nicht ratifiziert. Haben Sie Verständnis dafür?

Der Modus ist glasklar: Wenn wir es nicht bis Anfang 2017 ratifizieren, dann sind wir draussen. Das wird für das Land ausserordentlich nachteilig werden. Einerseits wegen der Gelder: Wir haben bis zu 160 Millionen Franken jährlich bekommen. Doch das ist nicht alles. Es geht auch um Reputation und die Möglichkeit, sich mit den Besten zu messen und zu kooperieren, was sogar noch wichtiger ist als der monetäre Anreiz.

Was würde passieren?

Bei einem Ausscheiden aus den europäischen Forschungsprogrammen werden sich die klügsten Köpfe genau überlegen, ob sie in der Schweiz noch optimale Arbeitsbedingungen vorfinden. Das Ausland schläft nicht. Es gibt gerade in Deutschland Hochschulen, die sehr wohl konkurrenzfähig sind. Auch die Briten bleiben auf absehbare Zeit Teil von Horizon 2020, da der Brexit nicht von heute auf morgen über die Bühne gehen wird. Wenn 2017 die Vorbereitungen für die Forschungsprogramme nach 2020 beginnen, sind sie noch dabei. Im Gegensatz zu uns Schweizern.

Wird die Teilnahme an Horizon 2020 nicht überbewertet? Wir zahlen jährlich fast gleich viel in dieses Forschungsprogramm, wie wir effektiv bekommen.

In zehn Jahren hat die Schweiz etwa 200 Millionen Euro mehr erhalten, als sie einbezahlt hat. Aber nochmals: Es geht nicht in erster Linie ums Geld. Die vom Europäischen Forschungsrat vergebenen Grants sind der Goldstandard in der Wissenschaft. Können Forscher aus der Schweiz sich nicht mehr dafür bewerben, dann verliert der hiesige Wissenschaftsstandort massiv an Attraktivität. Provokativ gesprochen: Ein Franken, den ich aus einem nationalen Fördersystem bekomme, ist weniger wert als ein Franken, den ich aus Horizon 2020 bekomme. Wir können als kleine Schweiz auch nicht alleine die heute üblichen Forschungsinfrastrukturen bereitstellen. Die Wissenschaft ist längst nicht mehr nationalstaatlich organisiert.

Schlaumeier interpretieren den Brexit als Glücksfall für die Schweiz. Nun könne künftig eng mit den britischen Eliteuniversitäten kooperiert werden. Eine Art «Britzerland» der Bildung.

Das ist eine gar simple Sicht der Dinge. Die Hochschulen Grossbritanniens und der Schweiz stehen zwar weltweit sehr gut da. Doch zu glauben, es werde sich auf die Schnelle ein neuer Forschungsraum formieren, der in Konkurrenz zum EU-Raum steht, ist unrealistisch. Die Briten wollen weiterhin mit den besten Universitäten Kontinentaleuropas kooperieren.

Sie sprechen viel von Europa. Aber Forschung spielt sich global ab. Wie sieht die Zusammenarbeit mit Hochschulen aus Übersee aus?

Wir haben selbstverständlich auch bilaterale Abkommen mit aussereuropäischen Universitäten. Diese Beziehungen müssen weiter ausgebaut und gestärkt werden. Ich denke besonders an amerikanische Spitzenuniversitäten, aber auch an Singapur, Südkorea, von China gar nicht zu reden. Die beiden ETH sind international bestens vernetzt und geniessen einen hervorragenden Ruf. Aber die enge Kooperation, wie sie in den Horizon-Projekten möglich ist, kann nicht ersetzt werden.

Könnte es sich die EU überhaupt leisten, auf die besten Universitäten des Kontinents zu verzichten?

Was sich die EU leisten kann, muss sie selber wissen. Ich weiss nur, dass die EU nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative – als erste Sanktionsmassnahme überhaupt! – unsere Vollassoziierung zu Horizon 2020 gestrichen hat.

Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative wird die Hochschulen ebenfalls vor grössere Probleme stellen. Stichwort Inländervorrang.

Klar ist: Wir brauchen die besten Köpfe, unabhängig von ihrer Nationalität. Ich kann mich ja nicht einfach an die Strasse stellen und nach einem Professor für theoretische Physik Ausschau halten. Wenn wir hochspezialisierte Spitzenleute wollen, müssen wir weltweit suchen. Das hat aber Folgen, zum Beispiel beim Familiennachzug. Es liesse sich niemand in die Schweiz locken, wenn er die Familie nicht mitnehmen könnte. Und damit Sie die Relationen sehen: Bei uns arbeiten Wissenschafter aus über 60 Staaten. Ohne eine Sonderregelung wird es für den ETH-Bereich nicht gehen.

http://www.nzz.ch/schweiz/aktuelle-themen/eth-rats-praesident-fritz-schiesser-wir-bewegen-uns-auf-duennem-eis-ld.104820

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