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Warum Frankreich zur Gefahr für Europa wird

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone gibt ein jämmerliches Bild ab. Inzwischen sind Frankreichs Probleme so groß, dass sie eine Gefahr für die Partnerländer werden – allen voran Deutschland.

Frankreichs Eisenbahner wollen heute mit einem unbefristeten Streik das Land lahmlegen. Die Beschäftigten der Pariser Métro sollen am Donnerstag folgen. Damit erreichen die Proteste gegen die von der französischen Regierungangestrebten Arbeitsmarktreformen einen neuen Höhepunkt, und das nur wenige Tage vor dem Start der Fußball-EM.

Der Stillstand auf den Schienen ist längst nicht der einzige Infarkt, der dem Land droht. Die hinter Deutschland zweitgrößte Ökonomie der Euro-Zone ist unser wichtigster Partner und Absatzmarkt in Europa. Nur wenn sich Frankreich reformiert und erholt, kann die Euro-Zone langfristig existieren. Fünf Gründe, warum wir uns um Frankreich ganz besondere Sorgen machen müssen.

Frexit-Angst

Alle Welt spricht über den drohenden Brexit, also den möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU. Doch nicht nur die Briten könnten das Konstrukt Europa beschädigen. Auch andere Länder entfremden sich zusehends von dem gemeinsamen Ziel eines leistungsstarken Europa. Ein Gradmesser für die wachsende Euro-Ermüdung ist der sogenannte Frexit-Index des Analysehauses Sentix.

Dieser misst, wie hoch die Finanzmärkte die Wahrscheinlichkeit einschätzen, dass ein Land binnen eines Jahres aus dem Euro fällt. Für Frankreich hat sich der Wert im Mai gegenüber dem Vormonat mehr als verdreifacht. Zwar ist die Zahl von 1,3 Prozent weiterhin sehr niedrig. Doch der Trend bei einem der Gründungsländer des gemeinsamen Europa ist beängstigend.

Dazu passt auch die politische Entwicklung im Land. Mittlerweile liegt der Front National, der mit Anti-Euro-Rhetorik bei den Wählern punktet, in den Umfragen weit vorn: 74 Prozent der Franzosen rechnen damit, dass die Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin Marine Le Pen die entscheidende zweite Runde der Präsidentschaftswahlen erreichen wird.

Währungsabwertung

Es gehört zu den Standardweisheiten, dass die Italiener vor dem Beitritt zum Euro nur dank ihrer Weichwährung ökonomisch überlebensfähig waren. Nur dank der stetigen Abwertungen blieben italienische Autos oder Maschinen auf den Weltmärkten konkurrenzfähig. Tatsächlich verlor die italienische Währung zur D-Mark zwischen 1971 und dem Euro-Start weit mehr als 20 Prozent.

Weit weniger bekannt ist die Tatsache, dass auch die Franzosen die Währung als machtvolles Instrument der Wirtschaftspolitik einsetzten. Zumindest bis in die 1980er-Jahre wurde der Franc zur starken D-Mark regelmäßig abgewertet, was der französischen Industrie einen Wettbewerbsvorteil verschaffte. Zwischen 1971 und dem Mauerfall 1989 verlor die französische Währung mehr als die Hälfte ihres Wertes.

Die Therapie von einst, die es der Regierung in Paris bequem ermöglichte, die Wirtschaft des eigenen Landes zu päppeln, ohne schmerzhafte Reformen durchzuführen, wäre nach Ansicht von Experten heutzutage dringend vonnöten. Für die reformunwilligen Franzosen ist der Euro zu stark.

Damit die Währung zur Wirtschaftskraft des Landes passt, müsste er rund zehn Prozent abwerten. Da das nicht geht, bleiben Frankreich nur schuldenfinanzierte öffentliche Konjunkturprogramme – oder tiefgreifende Reformen. Diese allerdings können ihre Wirkung erst langfristig entfalten.

Horrende Schulden

Anfang des Jahrtausends waren sich Deutschland und Frankreich noch sehr einig: Um mehr Freiheit bei der Haushaltsgestaltung zu haben, setzte das machtvolle Duo eine Aufweichung der Maastrichter Schuldenkriterien durch. Damals lagen beide Länder bei der Schuldenquote nahezu gleichauf.

Bis zur Finanzkrise wuchsen die Schuldenberge in beiden Ländern synchron. Während Deutschland seitdem die Kurve bekommen hat und mittlerweile auf eine Schuldenquote von unter 70 Prozent zusteuert, bekommt Frankreich die wachsenden Schulden noch immer nicht in den Griff. Schon bald könnten die Verbindlichkeiten des Landes 100 Prozent der Wirtschaftsleistung entsprechen.

Sprich, alle Franzosen müssten ein Jahr allein dafür arbeiten, um die Staatsschulden ihres Landes abzutragen. Und das, obwohl die Zinsen dank der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) so niedrig sind wie nie zuvor. Die Europäische Kommission scheint wegzuschauen. Obwohl Frankreich in 13 von 18 Euro-Jahren das maximale Haushaltsdefizit von drei Prozent der Wirtschaftsleistung verfehlt hat, gibt es immer wieder Ausnahmen. Den guten Ruf als solider Schuldner hat das Land ebenfalls eingebüßt. Die drei großen Ratingagenturen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitsch haben Frankreich das Spitzenrating bereits vor drei Jahren aberkannt.

Starrer und unflexibler Arbeitsmarkt

Die geplanten Arbeitsmarktreformen von Premier Manuel Valls bringen die Bürger auf die Straßen und die Eisenbahner zum Streiken. Sie protestieren vor allem gegen die vorgesehene Lockerung des Kündigungsschutzes und das faktische Ende der 35-Stunden-Woche. Dabei hat Frankreichs Arbeitsmarkt Reformen dringend nötig.

Denn der „Code du Travail”, in dem die Arbeitsgesetze des Landes versammelt sind, regelt auf 4000 Seiten von Toilettenpausen bis zur Größe der Bürofenster jedes kleinste Detail. Entsprechend starr ist der Arbeitsmarkt des Landes. Entlassungen beispielsweise dauern oft viele Jahre und sind sehr teuer.

Das französische Arbeitsrecht hat nach Ansicht von Experten auch dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren stetig gestiegen ist und auch nach dem Ende der Finanzkrise keine wirkliche Belebung am Arbeitsmarkt eingesetzt hat. Während sich die Arbeitslosenquote hierzulande seit 2006 mehr als halbiert hat, liegt sie in Frankreich weiterhin bei rund zehn Prozent.

Trotzdem bleiben die Löhne relativ hoch. Insbesondere zum Nachbarn Deutschland hat Frankreich bei den Lohnstückkosten, die das Maß der Dinge für die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit sind, stark eingebüßt. Zwar ist der Abstand zu Deutschland zuletzt wieder etwas geschrumpft, das lag aber nur bedingt an der gestiegenen französischen Leistungskraft, sondern vor allem an den hohen Lohnabschlüssen in Deutschland, die über Produktivität und Inflation lagen.

Dabei liegt im Arbeitsmarkt der Schlüssel für ein Comeback der Grande Nation. Sollten die Franzosen ihren Arbeitsmarkt nach deutschem Vorbild umbauen, könnte sich das Potenzialwachstum des Landes von einem auf zwei Prozent verdoppeln. Das haben die Ökonomen der Bank of America Merrill Lynch berechnet. Vor allem eine höhere Arbeitsneigung in der Bevölkerung und wieder längere Arbeitszeiten könnten Frankreich wieder flott machen.

Erodierende Industriebasis

Frankreich hat zwar weiterhin einen festen Platz unter den sieben wichtigsten Industrienationen (G 7). Gemessen an der Wirtschaftsleistung liegt das Land im globalen Ranking auf Platz sechs, ist aber zuletzt hinter Großbritannien zurückgefallen. Und die Basis für die wirtschaftliche Stärke erodiert zusehends.

Verglichen mit Deutschland, dessen Produkte Made in Germany weltweit weiterhin gefragt sind, verfügt Frankreich über weit weniger ausgeklügelte Industrien. Deshalb hat das Land auch in weit geringerem Maße vom Aufschwung in China profitiert. Der Marktanteil an den globalen Exporten ist deutlich zurückgegangen.

Das spiegelt sich auch im Anteil wider, den die Industrie zur gesamten Wirtschaftsleistung beiträgt. In Deutschland ist diese Zahl mit 22,3 Prozent in den vergangenen Jahren konstant geblieben. In Frankreich hingegen sank der Anteil von 13,3 auf 11,2 Prozent und damit sogar stärker als im EU-Durchschnitt. Ein Grund ist die rückläufige Autoproduktion. Die Zahl der produzierten Pkw hat sich seit 1999 fast halbiert, während in Deutschland seitdem sogar acht Prozent mehr Autos von den Fließbändern gerollt sind.

http://www.welt.de/wirtschaft/article155886588/Warum-Frankreich-zur-Gefahr-fuer-Europa-wird.html

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