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Um Deutschland steht es schlechter als gedacht

Eigentlich könnten sich die Vermessungsingenieure der Weltwirtschaft ihre Arbeit sparen. Hunderte von Wissenschaftlern versuchen alljährlich, die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften einzuschätzen und zu vergleichen.

Tausende von Zahlen werden erhoben, durch die Computer gejagt und anschließend interpretiert. Heraus kommt ein Ranking, das Auskunft darüber gibt oder zumindest geben soll, welches Land besonders wirtschaftsfreundlich operiert und wo sich Betriebe am besten ansiedeln, um zu expandieren.

Doch mindestens ebenso aussagekräftig ist ein einziger Indikator, der sich aus zwei Zahlen ermitteln lässt, die Börsenstärke. Die Börsenstärke sagt aus, wie groß der Aktienmarkt einer Nation im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ist. Länder, die es auf einen hohen Wert bringen, finden sich sämtlich auch ganz oben auf der Skala der Wettbewerbsfähigen. Die Rangfolge bei der Börsenstärke gleicht dem Ranking des viel beachteten IMD World Competitiveness Center bis aufs Haar.

Deutschland verliert an Konkurrenzfähigkeit

Laut einer Untersuchung des schweizerischen World Competitiveness Center verliert Deutschland an Konkurrenzfähigkeit. Im Ranking der 63 leistungsstärksten Staaten fiel Deutschland von Platz sechs auf den dreizehnten Rang.

Quelle: N24

Beide Rankings werden angeführt von Hongkong. Aber auch die Schweiz, Singapur und die USA schneiden sowohl im Ranking der Konkurrenzfähigkeit als auch bei der Börsenstärke fabelhaft ab. Der Vorteil der Börsenstärke ist dabei, dass es sich um einen Frühindikator handelt, der quasi in Echtzeit ermittelt wird. Und die Signale, die er für Deutschland aussendet, sind alles andere als beruhigend.

Quelle: Infografik Die Welt

Während Deutschland im IMD Index jüngst auf Platz 13 zurückgefallen ist, kommt Europas größte Volkswirtschaft bei der globalen Börsenstärke nur auf einen schwachen 28. Platz. Damit liegt die Bundesrepublik hinter den Philippinen und Spanien und nur knapp vor China. Die kapitalistische Industrienation Deutschland erreicht also in etwa das gleiche Niveau wie der offiziell kommunistische Staat.

„Aus der Vogelperspektive betrachtet, hat eine funktionierende Börse eine enorme Bedeutung für eine Volkswirtschaft“, sagt Hans-Jörg Naumer, Anlagestratege und Ökonom bei Allianz Global Investors. Sie stelle Risikokapital zur Verfügung und liefere wichtige Preissignale. Beim Vergleich der Länder müsse man indessen vorsichtig sein: „Aus der Marktperspektive ist Börse nicht gleich Börse, und Bruttoinlandsprodukt nicht gleich Bruttoinlandsprodukt.“

Alle börsennotierten Aktiengesellschaften der Bundesrepublik sind zusammengerechnet 2,2 Billionen Dollar (1,9 Billionen Euro) wert. Gemessen am deutschen Bruttoinlandsprodukt von knapp 3,5 Billionen Dollar, entspricht das einer Börsenstärke von gerade einmal 62,6 Prozent. Das liegt deutlich unter dem globalen Durchschnitt. Im Weltmaßstab bringen es die Staaten auf einen Durchschnitt von 99,7 Prozent. Da die globalen Aktienmärkte in den vergangenen Jahren stark gewachsen sind, sind das in absoluten Zahlen 75,4 Billionen Dollar.

Global erreicht die Börsenstärke eine Spitzenwert

Damit steht der Wert aller Aktien nach Berechnungen der Finanzagentur Bloomberg quasi auf einem Rekordhoch. Kritiker könnten bemängeln, ein globaler Börsenwert von fast 100 Prozent der Wirtschaftsleistung zeige, wie stark Aktien mittlerweile überbewertet sind. Und tatsächlich ist ein solch hoher Koeffizient nahezu beispiellos. Im Jahr 2007, kurz vor der Finanzkrise, wurde das letzte Mal ein solches Niveau erreicht.

Doch es kommt beim Börsenstärke-Indikator weniger auf die Werte an sich an, sondern vielmehr auf den Vergleich zwischen den Volkswirtschaften. Und da steht Deutschland mit knapp 63 Prozent auch wegen seiner unterentwickelten Aktienkultur schlecht da. Spitzenreiter Hongkong kommt auf 1423 Prozent, die Schweiz auf beachtliche 258 Prozent oder die USA auf immerhin 150 Prozent.

Die außergewöhnlich hohe Zahl der früheren britischen Kronkolonie Hongkong wird, ebenso wie die Börsenwerte, äußerst stark vom Immobiliensektor dominiert, merkt Naumer an. Außerdem sei die starke Kreditfinanzierung ungesund. In den USA wiederum ist es seiner Meinung nach auch der hoch bewertete Technologiesektor, der die Marktkapitalisierung aufbläht.

Oligarchen halten nichts von Veränderung

Ein pulsierender Finanzmarkt kann für die Dynamik einer Volkswirtschaft gar nicht hoch genug geschätzt werden. Ökonomisch gesehen haben Börsen eine wichtige Funktion bei der Bereitstellung von Geld. Firmen können besser expandieren und florieren, wenn sie die Wahl haben zwischen Fremdkapital (Bankdarlehen, Anleihen) und Eigenkapital (Aktien). Innovative Geschäftsideen lassen sich in der Regel nur durch Eigenkapital finanzieren, bei denen die Kapitalgeber mit ins unternehmerische Risiko gehen.

Hinzu kommt, dass nur Börsen einer großen Zahl von Menschen Zugang zu Unternehmen gewähren. Länder, wo Firmen in der Hand weniger großer Familien oder des Staates sind, entwickeln sich häufig Richtung Oligarchie. Selbst private Eigentümer haben in solchen Strukturen wenig Interesse an Veränderung. Sie nutzen ihre enorme wirtschaftliche und oft auch politische Macht, die vorhandenen Strukturen zu konservieren.

Der Indikator Börsenstärke hat auch Schwächen

Ein Beispiel dafür ist Russland. Dort erreicht die Kapitalisierung lediglich 40 Prozent der Wirtschaftsleistung, der Einfluss der Oligarchen ist berüchtigt. Doch selbst diese 40 Prozent sind noch beschönigend. Wichtige Firmen wie Gazprom sind zwar an der Börse notiert, wodurch sich rechnerisch eine hohe Kapitalisierung ergibt, de facto sind sie jedoch in den Händen einiger weniger mächtiger Eigentümer, allen voran der russische Staat.

Quelle: Infografik Die Welt

Ganz düster sieht es in der Ukraine aus. Hier beträgt der Koeffizient 0,8 Prozent. Das bedeutet, dass Beteiligung an unternehmerischem Vermögen bestenfalls über Erbschaft oder Schenkung möglich ist. Schlechtestenfalls spielt sich alles über Günstlingswirtschaft und Korruption ab.

Aber auch in der Euro-Zone gibt es Länder mit niedriger Börsenstärke. Italien ist so ein Fall, der Börsenwert der italienischen Firmen entspricht lediglich 35 Prozent der Wirtschaftskraft. Die dortige Marktwirtschaft schlägt sich mit dem strukturellen Nachteil herum, dass viele Firmengeflechte in der Hand großer Familien sind.

Unternehmen müssen sich Geld bei den Banken besorgen und sind somit auf einen funktionierenden Finanzsektor angewiesen. Die gesamte Volkswirtschaft hängt am Bankensektor. Geht es dem schlecht, leiden auch Innovationsfähigkeit und Wachstum, wie in den vergangenen Jahren zu erleben. Italien durchleidet die längste Stagnation der Nachkriegsgeschichte.

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Eine noch niedrigere Börsenstärke weist Griechenland auf: Die dortigen börsennotierten Firmen bringen es nur auf 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Mangels Wettbewerbsfähigkeit kommt der Mittelmeer-Staat nicht auf die Beine.

Mittelstand nicht auf Börsen angewiesen

Experten finden Gefallen an der Börsenstärke. Manche warnen jedoch davor, ihn als alleiniges Kriterium zu verwenden. So gibt es lokale Traditionen, die das globale Bild verzerren können. „In Deutschland ist die Börse zum Beispiel auch deshalb kleiner als in den USA, weil der vergleichsweise große und starke Mittelstand sich oft auch gut über lokale Sparkassen und Volksbanken finanzieren kann“, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei Berenberg in London. Deshalb seien deutsche Betriebe weniger auf den Aktienmarkt angewiesen als amerikanische.

Im Falle von China sei trotz der oberflächlich gesehen passablen Ziffern dagegen Vorsicht angesagt: „Da ist die Börse ja oftmals noch eher Spielkasino als echte Börse. Und Chinesen spielen offenbar gern.“ Mit unternehmerischem Engagement und Wettbewerbsfähigkeit hat das aus seiner Sicht nichts zu tun.

Allianz-Mann Naumer betont, dass Europa als Anlageregion noch Nachholbedarf hat. Er sieht in der geringen Börsenstärke nicht notwendigerweise ein Misstrauensvotum gegenüber der deutschen Wirtschaft. „Allerdings muss sich in Sachen Aktienkultur noch einiges tun.“ Die sei noch deutlich unterentwickelt, vor allem wenn man die geringe Zahl der Aktionäre in Deutschland als Indikator nimmt. Es gibt noch viel zu tun für die Vermessungsingenieure der Wirtschaft.

https://www.welt.de/finanzen/article166545513/Um-Deutschland-steht-es-schlechter-als-gedacht.html

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