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„Das ist der Anfang vom Ende der Ära Erdogan“

Die linksliberale Zeitung „Cumhuriyet“ gehört zu den ältesten der Türkei. Nachdem sie im November 2015 über angebliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Kampfgruppen in Syrien berichtete, begann die türkische Justiz, Chefredakteur Can Dündar intensiv zu verfolgen – unter anderem wegen Spionage und Geheimnisverrats. Im Juli 2016 reiste er nach Deutschland aus. In Berlin gründete Dündar das regierungskritische Nachrichtenportal Özgürüz.

Die Welt: Herr Dündar, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seine Verfassungsänderung durchgesetzt. Doch sein Sieg beim Referendum ist knapp. Sehen Sie ihn jetzt als gestärkt an?

Can Dündar: Überhaupt nicht. Das ist ein Pyrrhussieg. Nach all dem Druck, ja, der Unterdrückung, nach diesem unfairen Wahlkampf gegen das Nein-Lager, der Inhaftierung so vieler regierungskritischer Journalisten und mit einer Medienlandschaft, die fast ausschließlich für ein Ja geworben hat, ist die Mehrheit immer noch so winzig – für mich ist das der Anfang vom Ende der Ära Erdogan.

Die Welt: Aber bekommt Erdogan jetzt nicht Vollmachten, mit denen er erst recht jede Opposition ausschalten kann?

Dündar: Ja, er erhält mehr Macht. Aber wir wissen jetzt auch, dass die Hälfte des Volkes gegen ihn ist. Und wir haben gesehen, dass die Türken durchaus Widerstand leisten. Bedenken Sie eines: Seit Erdogan im Jahr 1994 Bürgermeister von Istanbul wurde, hat er in dieser Stadt nie wieder eine Wahl verloren. Bis heute. Jetzt hat Istanbul mit Nein gestimmt. Und auch Ankara, das vorher klar Erdogans AKP gewählt hat. Und Izmir hat sowieso gegen ihn gestimmt. Die Ergebnisse in den Großstädten sind sehr wichtig in der Türkei.

Can Dundar, der frühere Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“: Inzwischen lebt er in Deutschland
Can Dündar, der frühere Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“: Inzwischen lebt er in Deutschland

Quelle: Getty Images/Getty Images Europe

Die Welt: Aber wie soll das Erdogan gefährlich werden?

Dündar: Die Opposition hat mit ihrer Nein-Kampagne gezeigt, dass sie auch unter schwierigen Bedingungen gemeinsam kämpfen und Erdogan Stimmen abjagen kann. Wenn sie so weitermacht, kann sie bei der Präsidentenwahl 2019 gewinnen.

Die Welt: Sie meinen also, Erdogan hat Anhänger verloren?

Dündar: Sicher. Viele, die mal für ihn gestimmt haben, sind die Gängelung leid, den Niedergang der Wirtschaft, die ewigen Streitereien mit dem Westen. Und sein Bündnis mit der nationalistischen Oppositionspartei MHP, die auch für ein Ja geworben hat, hat sich nicht ausgezahlt. Bei der Parlamentswahl hatten beide Parteien zusammen viel mehr Prozente als jetzt beim Referendum. Auch bei den Kurden, wo Erdogan noch nie besonders viele Anhänger hatte, hat er weiter an Unterstützung verloren.

Die Welt: Die Opposition fordert eine Neuauszählung zahlreicher Stimmen, während man sich im Regierungslager klar als Sieger sieht. Droht jetzt Chaos?

Dündar: Das glaube ich nicht. Es ist völlig richtig, dass die Opposition eine Nachzählung verlangt. Aber das wird wenig ändern. Schließlich ist die Justiz schon lange auf Regierungslinie gebracht worden. Viel wichtiger ist, dass die Opposition weiter einig bleibt. Und dass sie den Rückhalt nutzt, der jetzt sichtbar geworden ist.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf dem Höhepunkt seiner Macht
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf dem Höhepunkt seiner Macht

Quelle: AFP/Getty Images

Die Welt: Wie sollten Deutschland und die EU auf den Ausgang des Referendums reagieren? Einige Politiker fordern schon, die europäische Türkei-Politik grundlegend zu überdenken.

Dündar: Europa sollte das Ergebnis respektieren, aber auch bedenken, wie gespalten das Land ist. Die Türkei ist bei Weitem nicht nur Erdogan. Deutsche und Europäer sollten weiter mit der türkischen Opposition reden. Sie sollten unser Land auf keinen Fall isolieren. Das wäre am schlechtesten. Gerade jetzt brauchen wir die enge Verbindung zu unseren europäischen Freunden. Wir brauchen noch mehr Solidarität.

Die Welt: Aber Erdogan hat jetzt auch angekündigt, ein Referendum zur Einführung der Todesstrafe voranzutreiben. Muss Europa nicht doch irgendwann Konsequenzen ziehen?

Dündar: Mit der Todesstrafe blufft Erdogan nur. Er hat doch auch schon früher gesagt, damit werde er sich erst befassen, wenn das Parlament das von ihm fordert – obwohl dort die Mehrheit sowieso auf sein Kommando hört. Er hätte es also schon längst tun können, wenn er das wirklich wollte. Mit diesem Statement am Sonntagabend wollte er nur seinen Anhängern gefallen. Aber er weiß nach dem Referendum, wie groß der Widerstand in der Bevölkerung ist. Ich glaube nicht, dass er so ein Referendum wagen wird. Europa sollte Erdogan nicht immer so ernst nehmen.

Die Welt: Erdogan hat seinem Volk Stabilität versprochen, wenn es mit Ja stimmt. Kann er die jetzt liefern?

Dündar: Sicher nicht. Wie soll die entstehen in einem Land, das so grundsätzlich in zwei fast gleich große Lager gespalten ist? Europäische Unternehmen denken manchmal, eine stabile Türkei ist wichtiger als eine demokratische. Aber spätestens seit heute sollten sie wissen: Das eine gibt es nicht ohne das andere.

https://www.welt.de/politik/ausland/article163749335/Das-ist-der-Anfang-vom-Ende-der-Aera-Erdogan.html

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